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ADHS bei Frauen und Mädchen: Warum die Diagnose ADHS oft erst als Erwachsene gestellt wird

Gerade geht ADHS (englisch ADHD) in den sozialen Medien viral. Zahlreiche Accounts auf Instagram, Tiktok und Co. zeigen mögliche Symptome und einige Erwachsene kommen dadurch erst auf die Idee, dass sie vielleicht AD(H)S haben.

Tatsächlich haben 3-5% der Erwachsenen die ADHS-Diagnose, wobei nur 1/3 davon Frauen sind.

Doch warum werden so viele Frauen und Mädchen mit ADHS erst spät diagnostiziert? Es ist eine Problematik, die viel zu oft übersehen wird und bei der bereits sehr viel Leid erlebt wurde, eh die Betroffenen Hilfe bekommen.

Häufig wird die ADHS Diagnose bei Frauen erst gestellt, wenn sie erwachsen sind, bereits Kinder haben und der herausfordernde Alltag mit der Mehrfachbelastung, dem Mental Load und den Symptomen der ADHS zu einem Burnout führen.

In diesem Blogartikel werden wir uns genauer damit befassen, was ADHS ist, wie du ADHS testen bzw. wie du ADHS diagnostizieren lassen kannst, und ich werde dir alle wichtigen Informationen zu diesem Thema liefern.

Was ist ADHS?

ADHS (AufmerksamkeitsDefizitHyperaktivitätsSyndrom oder -Störung) betrifft nicht nur Jungs und Männer. Viele Frauen und Mädchen leiden ebenfalls darunter, doch ihre Symptome werden oft falsch interpretiert, von ihnen selbst verschleiert oder als etwas anderes abgetan. Sie passen sich an und finden Kompensationsstrategien, die sie mitunter viel Kraft kosten. Das führt dazu, dass ADHS bei ihnen erst spät erkannt wird.

Ein Grund für die späte Diagnose bei Frauen bzw. Mädchen liegt in den unterschiedlichen Symptomen im Vergleich zu Männern bzw. Jungen. Bei Männern äußert sich ADHS meistens durch Hyperaktivität, Impulsivität und der Unfähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Bei Frauen hingegen zeigen sich die Symptome oft subtiler.

Was ist der Unterschied zwischen ADHS und ADS?

Im Grunde handelt es sich um dasselbe Syndrom. ADS bedeutet AufmerksamkeitsDefizitSyndrom. Bei ADHS steht das H für Hyperaktivität. Diese kann sich durch motorische Unruhe zeigen beispielsweise durch Zappeln, Kugelschreiber klicken oder Aufstehen und Umherlaufen. Bei Frauen und Mädchen kehrt sich die Hyperaktivität häufig nach innen. Sie fühlen sich innerlich unruhig und ständig getrieben.

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Plastik aus Ton von Jessica Sawatzke, ca. 1998. Eine Person kauert auf dem Boden um umschlingt ihre Beine mit den Armen.

ADHS Symptome bei Frauen und Mädchen

Anstatt hyperaktiv, auffällig und laut zu sein, sind viele Frauen mit ADHS eher träumerisch und innerlich unruhig. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Gedanken zu ordnen und sich zu organisieren. Auch die Konzentration fällt ihnen schwer, besonders bei monotonen oder langweiligen Aufgaben. Denn der Botenstoff Dopamin im Gehirn ist zu wenig vorhanden und wird zudem zu schnell abgebaut. Ohne Dopamin als Belohnung fürs Gehirn fallen sogar leichte Tätigkeiten im Haushalt wie Aufräumen, Wäsche machen oder Geschirrspüler ausräumen unglaublich schwer. Häufig leiden die Frauen unter chronischem Stress und haben das Gefühl, den Anforderungen des Alltags nicht gerecht zu werden.

Die falsche Vorstellung, dass ADHS vor allem Jungen betrifft, führt dazu, dass Ärzte und Lehrerinnen die Symptome bei Mädchen oft übersehen. Stattdessen werden sie als „schüchtern“, „verträumt“ oder „unaufmerksam“ abgestempelt. Dadurch bleibt die Störung unerkannt und die betroffenen Frauen und Mädchen erhalten nicht die Unterstützung, die sie benötigen.

Die Auswirkungen einer unerkannten ADHS können gravierend sein. Denn die vermeintliche „Kinderkrankheit“ wächst sich nicht aus. Betroffene Frauen leiden häufig unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, Depressionen, Angstzuständen und sozialen Problemen. Die Schwierigkeiten im schulischen oder beruflichen Bereich können zu Frustration und Versagensgefühlen führen.

Es ist wichtig, dass wir das Bewusstsein für ADHS bei Frauen und Mädchen schärfen. Eltern, Lehrkräfte, Ärzte und Ärztinnen müssen aufmerksamer sein und die Symptome richtig deuten können. Eine frühe Diagnose ermöglicht es den Betroffenen, geeignete Behandlungen und Unterstützung zu erhalten, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen.

Wie bekomme ich die Diagnose ADHS?

Wenn du vermutest, dass du oder eine dir nahestehende Person ADHS haben könnte, scheue dich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erfahrene und gut ausgebildete Ärzte / Ärztinnen oder Psychologen / Psychologinnen können eine umfassende Diagnose stellen und dir geeignete Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Vor allem bei Frauen kann eine ADHS Diagnose sinnvoll sein, da sich die Symptome durch hormonelle Schwankungen wie in der Pubertät, dem Zyklus, der Schwangerschaft, der Stillzeit oder den Wechseljahren verstärken können. In diesen Phasen zeigt sich die ADHS am schlimmsten.

Wie wird ADHS festgestellt?

Zur Diagnose von ADHS werden verschiedene Verfahren verwendet, um ein umfassendes Bild deiner Situation zu erhalten. Hier sind die gängigen Methoden:

  1. Anamnese: In einem Gespräch wird deine Krankheitsgeschichte erfasst. Der Arzt / die Ärztin wird Fragen stellen wie:
    • Wann sind die Symptome zum ersten Mal aufgetreten? Hast du gravierende Probleme dich z.B. auf deine Arbeit zu konzentrieren, stehst du dabei immer wieder auf, fühlst dich innerlich unruhig oder unterbrichst dein Umwelt andauern?
    • In welchen Bereichen deines Lebens spürt man die Auswirkungen der ADHS-Symptome?
    • Sind bei dir psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder die Borderline-Störung bekannt? Nimmst du Medikamente ein?
  2. Spezifische ADHS-Fragebögen: Oft werden spezielle Fragebögen verwendet, die dir helfen, deine Symptome besser einzuschätzen. Du wirst gebeten, Fragen zu beantworten, die deine Aufmerksamkeit und dein Verhalten betreffen.
  3. Körperliche Untersuchung: Eine körperliche Untersuchung wird durchgeführt, um andere mögliche Grunderkrankungen auszuschließen. Zum Beispiel kann die Schilddrüse untersucht oder Blutwerte erhoben werden. In einigen Fällen wird auch ein EKG durchgeführt.
  4. Gespräche mit Bezugspersonen: Der Arzt / die Ärztin wird sich mit deinem Partner oder einer Bezugsperson aus deiner Kindheit unterhalten. Oft können diese Personen besondere Eigenschaften oder Verhaltensweisen beschreiben, die dir vielleicht nicht mehr bewusst sind oder an die du dich gar nicht mehr erinnern kannst. Manchmal kann es auch hilfreich sein, Grundschulzeugnisse anzuschauen.
  5. Durchführung von speziellen Tests: Es können spezielle Tests durchgeführt werden, um deine kognitive Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit zu ermitteln.

Denke daran, dass deinen Verdacht auf eine ADHS am besten von einem professionellen Arzt / Ärztin oder Psychologen / Psychologin abklären lässt und ein ADHS Selbsttest aus dem Internet nur Anhaltspunkte liefert. Sie haben die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen, um eine genaue Diagnose zu stellen und einen Behandlungsplan zu erstellen, der auf dich zugeschnitten ist.

Auch wenn die Kapazitäten vieler psychiatrischer Praxen und Psychologen gerade ausgeschöpft sind, lohnt es sich, nachzufragen und sich ggf. auf die Warteliste setzen zu lassen.

Führe auch eine Liste, wen du wann kontaktiert hast und notiere dir den Ablehnungsgrund. Mit Hilfe der Liste kannst du dich an deine Krankenkasse wenden und um Unterstützung bei der Suche bitten.

Solltest du wirklich in einer akuten Krise stecken, wende dich bitte an den sozialpsychiatrischen Dienst deiner Region.

Differentialdiagnosen zu ADHS

Die genaue Diagnosestellung bei ADHS ist wichtig, um andere seelische bzw. psychiatrische Erkrankungen auszuschließen oder festzustellen, ob sie zusätzlich zu ADHS auftreten, die ähnliche Symptome erzeugen.

Dazu gehören Depressionen, Suchterkrankungen, Erkrankungen aus dem Autismus Spektrum, Neurosen (z.B. Angsterkrankungen, Panikstörungen), Psychosen oder Traumata. Aber auch körperliche Ursachen sind möglich bspw. nicht integrierte frühkindliche Restreflexe* oder Wahrnehmungsstörungen und -verarbeitungsstörungen (sensorische Integration*), die seit der Kindheit bestehen. Oft werden diese nicht erkannt und entsprechend nicht behandelt, wachsen sich aber nicht aus.

Natürlich kann es auch vorkommen, dass mehrere Diagnosen parallel vorhanden sind. Eine individuell passende Behandlung erfordert, dass alle ursächlichen Faktoren erkannt und in den Behandlungsplan miteinbezogen werden.

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Was hat ADHS für Ursachen?

Das Spannende ist, dass man nicht genau weiß, woher ADHS kommt und wie es ausgelöst wird. Es konnten jedoch einige Risikofaktoren identifiziert und familiäre Häufungen beobachtet werden.

Bei ADHS gibt es eine genetische Komponente. Das bedeutet, dass es vererbt werden kann. So geht man davon aus, dass 50% der Eltern, deren Kind eine ADHS Diagnose bekommt, ebenfalls betroffen sind.

Bei meiner Ausbildung zur Säuglings- und Kleinkindtherapeutin nach dem IntraActPlus Konzept am sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) am Vivantes Klinikum in Berlin Friedrichshain lernte ich, dass Säuglinge mit Regulationsstörungen ein signifikant höheres Risiko haben, später eine ADHS zu entwickeln.

Das ADHS Gehirn funktioniert anders

Bei ADHS muss man sich auch anschauen, was im Gehirn passiert. Inzwischen weiß man, dass das Gehirn von Menschen mit ADHS „neurodivers“ ist. Es gibt unter anderem einen Mangel an wichtigen Botenstoffen (sogenannten Neurotransmittern), welche Informationen weiterleiten und unser Verhalten und Erleben beeinflussen. Dazu kommt, dass diese auch schneller abgebaut werden als bei „neuronormativen“ Menschen.

Die betreffenden Botenstoffe sind Dopamin und Noradrenalin, welche dir helfen, dich zu motivieren und aufmerksam eine Sache zu erledigen.

Im Klartext: Reize, die du von deiner Umwelt aber auch aus deinen Gedanken bekommst, prasseln ungefiltert auf dich ein. Du kannst dann nicht mehr unterscheiden, was wichtig und was unwichtig ist.

Deine Reaktion darauf kannst du auch schlechter steuern und reagierst häufig impulsiv und unüberlegt.

ADHS Schaubild 2022
Bildquelle: https://www.quarks.de/

Welche Vorteile hat ADHS?

Tatsächlich gibt es einige Menschen, die sagen, dass ADHS keine Krankheit ist. Erwachsen, die die Diagnose erhalten haben, sehen auch Vorteile darin. So sehen ADHSler ihre Stärken und „Superkräfte“ z.B. in

  • höherer Begeisterungsfähigkeit („Neues Hobby, ich komme!“)
  • radikaler Ehrlichkeit
  • Einsatzbereitschaft und Hilfsbereitschaft
  • Emotionalität (und das in Extremen, es gibt immerhin nur schwarz und weiß ;))
  • Feinfühligkeit/Sensibilität und Empathie
  • Hyperfokus (wenn etwas sehr interessant ist, können sie stundenlang im Flow sein und sich mit einer Sache beschäftigen)
  • Spontanität
  • Ideenreichtum, Fantasie und Kreaktivität

Viele erfolgreiche Unternehmer / Unternehmerinnen haben ADHS. Sie sind Macher und zerdenken nicht alles. Sie packen einfach an, was sie begeistert und reißen andere mit.

Wie wird ADHS behandelt?

Es gibt heute effektive Maßnahmen zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen. Dabei stehen verschiedene nicht-medikamentöse und medikamentöse Therapiebausteine zur Verfügung, die einzeln oder zusammen eingesetzt werden können.

Ob eine Therapie bei ADHS bei dir sinnvoll ist, welche Methoden die richtigen sind und wann du ADHS Medikamente brauchst, hängt immer auch von deinem Leidensdruck ab und wie sehr dich die ADHS im Alltag und Berufsleben einschränkt.

Wichtig ist, dass du weißt, dass ADHS nicht geheilt werden kann und nicht von alleine weggeht.

Das Ziel der Maßnahmen ist daher immer, dass du Methoden lernst, um dein Selbstmanagement zu verbessern und dir die Bewältigung deines Alltags leichter fällt. Eine ADHS-Therapie ist auch ohne Medikamente möglich beispielsweise durch den Einsatz von Psychotherapie oder spezieller psychisch-funktioneller Ergotherapie.

Lass dich über ADHS-Therapie bei Erwachsenen in jedem Fall von deinem behandelnden Arzt / Ärztin beraten und dir die passende Therapie verordnen.

Wenn du weitere Fragen zur Diagnose von ADHS hast, stehe ich dir gerne zur Verfügung. Wichtig ist, dass du dich nicht scheust, Unterstützung zu suchen und mit einer Fachperson über deine Symptome zu sprechen. Du bist nicht allein, und es gibt Wege, um mit ADHS umzugehen und dein Leben in den Griff zu bekommen.

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Eine medikamentöse Therapie kann bei ADHS im Erwachsenenalter sinnvoll sein.

Fazit: Warum ADHS bei Mädchen oft nicht erkannt wird

ADHS ist angeboren und daher bestehen die Symptome bereits in der Kindheit. Bei Mädchen mit ADHS zeigen sich die Symptome allerdings anders als bei Jungen.

Sie fallen nicht auf und passen sich an, wirken in der Schule eher verträumt, schüchtern und ungeschickt. Erst im Jugendalter und als Erwachsene brechen sie deutlicher hervor und psychische Störungen wie Depressionen, Essstörungen, Suchterkrankungen oder Panikattacken bahnen sich ihren Weg.

Oft werden sie fehldiagnostiziert und damit auch falsch behandelt. Das liegt zum einen an der zu geringen Aufklärung über das Thema in der Gesellschaft, aber auch an zu wenig geschultem Fachpersonal.

Außerdem haben sich Mädchen und Frauen mit ADHS häufig bereits so gut angepasst und schämen sich z.B. dafür, die einfachsten Dinge im Haushalt „nicht auf die Reihe zu kriegen“. Daher finden sie Ausreden und verschleiern die Symptome.

Dass ADHS bei Frauen und Mädchen oft spät erkannt wird kann zu langfristigen Herausforderungen führen. Die fehlende Aufmerksamkeit und das Missverständnis dieser Störung können verheerende Auswirkungen haben.

Lass uns gemeinsam das Bewusstsein für ADHS bei Frauen schärfen und sicherstellen, dass niemand übersehen wird, der Unterstützung benötigt!

Mein Angebot an dich

Sicherlich gibt es einen Grund, warum du meinen Artikel über ADHS bei Frauen und Mädchen angeklickt und bis zu dieser Stelle gelesen hast.

Wenn du auf der Suche nach Therapie oder Coaching bist, dann schau dir gern meine Angebote an. Ich bin seit 15 Jahren Ergotherapeutin und habe in meiner selbständigen Tätigkeit bereits zahlreiche Frauen begleitet.

Hast du weitere Fragen oder Erfahrungen zum Thema ADHS bei Frauen und Mädchen? Teile sie gerne in den Kommentaren auf meinem Instagram-Kanal. Wir sind hier, um einander zu unterstützen und voneinander zu lernen! 💚

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